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Abendland in Christenhand

Ich hatte einen Traum, in dem ich schweben konnte. Und zunehmend nicht nur schweben, sondern richtig fliegen, ohne Hilfsmittel. Ohne Flügel oder Motoren oder Rotoren, das war wunderschön. Ich ließ mich in den Wind fallen, sehr bedacht, und schwebte erst sachte auf dem feinen Luftpolster, der sich zwischen mir und dem Boden unter mir ergab. Tauchen und unter Wasser atmen Können träumt man öfter. Hatte ich zwar lange nicht mehr, aber die Erinnerung ist sehr genau, es sollen Ausflüge in eine pränatale Phase sein, ein Flashback ins eigene Fruchtwasser. Stellt sich die Frage, wem das Fruchtwasser eigentlich gehört: Der Mutter oder dem Kind? Ich bin ja der Meinung, dass es dem Kind gehört, das muss ja wo sein dürfen, ohne wenn und aber. In diesem Land sehen das viele wohl so, dass es der Mutter gehört. Und hoffen, dass bereits der Fötus katholisch ist, wenn möglich. Mir ist die wunderschöne Geschichte von einem Wiener Buben im Kindergartenalter zu Ohren gekommen, der ein kleines Geschwisterchen bekommen sollte. Bei der Frage um den Namen meinte er, wenn das Baby ein Türke werden würde, soll es Serkan heißen. So einfach ist das, der kleine Bruder hat Serkan tatsächlich als zweiten Namen bekommen.
Was es mit dem Fliegen auf sich hat, ist mir nicht bekannt, mit Leichtigkeit könnte es zu tun haben, ich trug beim Fliegen Shorts von meinem Sohn mit Spiderman darauf. Flucht fällt mir als zweites Motiv ein. Wobei das Fluchtmotiv gleich einmal relativiert werden muss, es ist kein ernsthaftes, es gibt keine Bedrohungen, kein Leben ist gefährdet. Nur Gemütszustände sind nachhaltig beeindruckt, bei all den christlichen Befindlichkeiten und ihren selektiven Interpretationen, die sie erfahren. Jesus hatte, als er er einen Tempel geräumt und befunden hatte, dass er kein Kaufhaus wäre, zusätzlich festgestellt, dass es ein Bethaus für alle Völker sein sollte. Wenn Österreich als Tempel des Wohlstandes betrachtet wird, sollte auch Platz sein für alle möglichen Leute, die nicht nur hierher kommen, weil sie in welcher Religion auch immer beten wollen, sondern weil sie verfolgt werden und ihre Leben gefährdet sind, hier auch arbeiten wollen und damit Steuern zahlen, weil sich das zu Hause nicht mehr ganz so gut ausgeht. Die träumen nicht so elegant vom Schweben wahrscheinlich, sondern von Raketeneinschlägen oder ähnlichen Dingen, die ganz echt passiert sind. Jetzt sind diese aber blöderweise nicht alle getauft. Selber schuld, möchte man denken, hätten sie sich doch den Diktator in einem christlich geprägten Land ausgesucht, nicht im falschen, auch wenn das gelobte nebenan liegt.

Gerade habe ich mit großem Interesse vom Fest am Hohen Meißner nahe Kassel gelesen, das 1913 stattgefunden hat. Da trafen sich deutsche Jugendorganisationen, die für Aufbruch und Weiterentwicklung, für Umkehr und Aufbruch plädiert haben. Ungeklärt blieb bereits damals die Frage, ob Antisemitismus strikt abgelehnt werden soll oder nicht; Konsequenzen für Antisemitismus blieben aus, die weitere Geschichte dieses Jahrhunderts ist bekannt. Walter Benjamin war dort dabei, viele andere bekannte Leute auch. Viele sind nahtlos in den Nationalsozialismus gespült worden. So etwas passiert durch inkonsequente Handlungsweisen. Es zeugt von Geisteshaltung, wenn Dingen nicht ausreichend entgegengehalten wird, die reaktionärer Natur sind und ausser Zwiespalt und Zwietracht kein anderes Ziel ermöglichen. Das haben wir in diesem Land aus purem Opportunismus seit Jahrzehnten. Österreich badet nach wie vor als erstes Opfer des Nationalsozialismus in einem Schaumbad an Eigennützigkeit und Engstirnigkeit. Zwischendurch gab es Hoffnung, dass diesen Strömungen entgegengewirkt wird – diese Hoffnung ist zerplatzt wie eine Seifenblase, nicht zuletzt durch eine Koalition Anfang dieses Jahrtausends.

Der Libanon, unmittelbares Nachbarland von Syrien und nicht gerade von üppigem Reichtum gesegnet, hat bereits hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen und trotzdem kürzlich festgehalten, dass es keinen Aufnahmestopp geben wird. Da gibt es keine Taktik, keine Strategie, es geht um humanitäre Anliegen. Das Land selbst ist geprägt von kriegerischen Auseinandersetzungen, die haben nicht vergessen, was es bedeutet, auf der Flucht zu sein. Andere umliegende Länder haben auch bereits hunderttausende Menschen aufgenommen. Österreich spricht von 500 Flüchtlingen, die eventuell in unser abendländisches Idyll aufgenommen werden. Aber bitte, wenn möglich, Christen. Diese Idee wird gerechtfertigt, weil Christen eine besonders verfolgte Menschengruppe sind. Das verursacht Sprachlosigkeit und will auch nicht wiederholt werden, so abartig und lächerlich ist das alles. Gleichzeitig wird versprochen, 30.000 Wohnungen aus dem Boden zu stampfen. Eine gute Idee prinzipiell, andererseits könnten die vielen Häuser, die aus Spekulationsgründen leer stehen, wieder bewohnbar gemacht werden – deren Besitzer sind wahrscheinlich keine Sozialhilfeempfänger. Da wären wir wieder bei der Frage nach den Fruchtwasserbesitzansprüchen. Wohnsubstanz sollte eigentlich denen geöffnet werden, die gerade keine Wohnung haben, will ja niemand geschenkt haben, würden alle gerne Miete zahlen. Genug aber von Dingen, die ganz einfach wären, aber offenbar nicht nachvollziehbar sind. Die Kollegen, die gerne sofort Wohnungen bauen wollen, bauen in Graz ja auch welche, in Stadtparknähe, von wo das Durchschnittsgesindel dann bitteschön verschwinden sollte. Ganz so christlich sind diese Ideen eigentlich gar nicht, wenn man genau schaut. Am einfachsten und anständigsten wäre es, wenn sie den Begriff „christdemokratisch“ einfach ersatzlos streichen würden, die Kollegen noch weiter rechts aussen streichen den Begriff „freiheitlich“, und man kannte sich wieder ein wenig besser aus.

Es verwundert mich, dass ich keinen Traum hatte, der mich in die pränatale Phase gebracht hat, also hindernisfreies Untertauchen vor diesem Wahlkampf, für den man sich immer ein wenig mitschämt.  Fliegen ist auch gut, kann als Versuch gesehen werden, das alles mit Humor und eben Leichtigkeit zu nehmen, was im echten Leben verdammt schwierig ist. Der Flug hat sehr österreichisch geendet, zumindest aber happy. Ich bin irgendwann durch eine Tür in ein Haus hineingeglitten, dort weiter in eine Wohnung, dort von einem Raum in den nächsten, mindestens durch zehn Räume. Es war eine akrobatische Meisterleistung, im Flug alle Türschnallen und Fensterhebel so exakt zu erwischen, dass ich ohne Unterbrechung weitergleiten konnte, weil jede Unterbrechung diesem Flug ein vorzeitiges Ende bereitet hätte. Alle Räume waren handgefertigte, aus unnatürlich braunem Holz nachgebaute Bauernstuben aus den siebziger und achtziger Jahren, ich flog also durch eine gleichmäßig sepiagebeizte Wohnatmosphäre. Natürlich war das nicht in Ordnung, man kann nicht einfach durch anderer Leute Wohnung fliegen, spazieren ja auch nicht. Also hatte ich ein ungutes Gefühl. Einmal hat jemand registriert, dass etwas oder jemand in der Wohnung ist, und „Eine Fliege!“ gebrüllt. Was hätte ich denen wohl erzählt, wenn sie mich erwischt hätten? Dass ich das Christkind bin? Funktionieren ja anscheinend gut, die christlichen Werte, die Spidermanshorts hätten meine Glaubwürdigkeit eventuell ein wenig untergraben. Mit einer entsprechenden politisch- rhetorischen Ausbildung wäre ich wahrscheinlich noch mit einer Jause und einem Leiberl nach Hause geflogen, so hätte ich die zugetextet mit komplettem Schwachsinn und ihnen erklärt, dass ich ab 25. Dezember als Osterhase arbeite. Oder wie ist es erklärlich, dass eine Organisation, die den Vizekanzler stellt, mit ausgrenzenden Ideen etwa ein Viertel der Wählerstimmen bekommen kann, deren Klientel zu einem ordentlichen Teil aus Menschen besteht, die Sonntag für Sonntag in die Kirche gehen? Vielleicht erklärt die Lithurgie dieses Schlamassel, wenn man genau zuhört, entschuldigt man sich in einer Messe sehr häufig für alle möglichen Sachen, also wohl auch für schlechtes Benehmen im politischen Alltag und insgesamt, und dann ist alles wieder gut. Kann man dann getrost weitermachen. Zum Glück war es nicht notwendig, eine christliche Ausrede zu erfinden, denn ich habe auch das letzte Fenster elegant im Flug geöffnet und bin hindurchgeflogen wie eine Schwalbe. Dann bin ich aufgewacht.
Und was vernehme ich von einem Kanzler auf den Vorwurf, Plakate in türkischer Sprache aufzuhängen? Er hätte sagen können: Na und? Wir haben die zwar nicht aufgehängt, aber wo liegt das Problem? Stattdessen war ein Rumpelstilzchen zu hören, dass mit etwas Ausländischem erwischt worden ist, womit er aber nichts zu tun haben will. Werner Schwab meint dazu „Sagen Sie es ruhig noch peinlicher“.   

Unsere Mitte wünscht sich immer noch Flüchtlinge mit passendem Glaubensbekenntnis, die Flexibilisierung der Arbeitszeit wird mit dem Beispiel schmackhaft gemacht, dass man seine Tochter dann selber zum Ballett bringen kann, wenn man am Donnerstag zum Beispiel weniger arbeiten muss, weil man am Mittwoch bis Mitternacht in der Arbeit war; und die Frage nach Koalitionspartnern wird mit „Pest oder Cholera“ beantwortet. Ich fürchte, dass es da kein weiteres Aufwachen geben wird. Eine Wiederholung einer Koalition mit den rechten Brüdern ist hiermit also hochoffiziell möglich. Richtig unappetitlich ist das.


Bildrechte: Bestimmte Rechte vorbehalten von h.koppdelaney


Original: http://www.flickr.com/photos/h-k-d/4710271958/



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[Kolumne/Walter Schaidinger/23.09.2013]





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